Ein Panzer der israelischen Armee fährt in Majdal Schams in der Nähe der sogenannten Alpha-Linie, die die von Israel annektierten Golanhöhen von Syrien trennt.
© Matias Delacroix
„Supermacht Israel
Artikel von RP ONLINE • 2 Std.
Neben der Türkei ist der jüdische Staat der große Sieger nach dem Sturz des syrischen Diktators Assad. Das könnte Israels skrupellosen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu leichtsinnig machen.
Lange Zeit sah es so aus, als wäre der Terrororganisation Hamas mit dem mörderischen Angriff auf Israel eine Zeitenwende im Nahen Osten gelungen. Die wütenden Gegenangriffe der Regierung in Jerusalem auf Gaza haben den jüdischen Staat in großen Teilen der Welt diskreditiert, die Hisbollah und der Iran mit vereinten Kräften die Wehrfähigkeit Israels getestet und die teheranfreundlichen Rebellen im Jemen den Welthandel gestört. Alles schien auf eine neue Ordnung hinauszulaufen.
Das ist geschehen, doch ganz anders als sich die Terrorstrategen der Hamas ausgedacht haben. Den Angriff haben die meisten Architekten des Anschlags mit dem Leben bezahlt, Gaza ist unter entsetzlichem Leid zerstört worden. Und was strategisch noch wichtiger ist: Die Hisbollah als Verbündete des Iran ist am Boden. Die Islamische Republik selbst ist stark geschwächt. Jetzt hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach dem überraschenden Machtwechsel in Syrien den Sack zugemacht. Unbedrängt von feindlicher Abwehr hat die Armee des jüdischen Staats die Marine Syrien vernichtet, verbliebene sowjetische Waffen zerstört und die militärischen Chemiekapazitäten des früheren Assad-Regimes ausgeschaltet. Das ist Sieg auf ganzer Linie. Der syrische Politikwissenschaftler Hazem Alghabra spricht bereits von Israel als der neuen „Supermacht des Nahen Ostens“. Eins ist klar: Der jüdische Staat ist aus der existenziellen Krise stärker denn je hervorgegangen. Die gegen ihn gerichtete „Achse des Widerstands“ aus Hisbollah, Syrien und Iran liegt in Trümmern.
Für das langfristige Überleben Israels ist das eine gute Nachricht. Als Demokratie kann es sich dieser Staat sogar erlauben, den siegreichen Regierungschef wegen Korruption und Vorteilsannahme vor Gericht zu verhören. Die gemeinsamen Werte seiner Bewohner und ihr Überlebensinstinkt haben den jüdischen Staat wieder einmal in größter Gefahr gerettet. Das wird in den Hauptstädten der gemäßigten arabischen Staaten wie Kairo, Riad oder Dubai genauestens beobachtet.
Doch es gibt auch Wermutstropfen in diesem Szenario. Mit dem Völkerrecht nimmt es die israelische Regierung offenbar nicht zu genau. Es mag in Ordnung sein, präventiv militärische Anlagen zu zerstören, die in die Hände islamistischer Extremisten fallen könnten. Doch Israel hat zugleich seine Truppen nach Syrien einmarschieren lassen und damit gegen das Entflechtungsabkommen von 1974 zwischen den beiden Ländern verstoßen. Das war nach Ansicht von Experten unnötig.
Und es könnte einmal mehr der Fall sein, dass Israel sich allein auf seine militärische und wirtschaftliche Stärke verlässt. Will aber der jüdische Staat langfristig überleben, muss er auch mit seinen direkten Nachbarn in Palästina, Libanon und Syrien zu einem Ausgleich kommen. Der Plan Netanjahus, das Westjordanland zu annektieren, widerspricht dem fundamental und macht Israel noch stärker zu einem globalen Außenseiter, der sich nicht an Völkerrecht hält. Das Land sollte stattdessen trotz des Hamas-Massakers eine Verständigung mit den Palästinensern suchen – gerade aus einer Position der Stärke heraus. Daran hat der Premier in Jerusalem offenbar keinerlei Interesse.
Der künftige US-Präsident Donald Trump dürfte seinen Bruder im Geiste in Jerusalem auch kaum daran hindern, seine weitreichenden Pläne zu verfolgen. Es hängt deshalb von der israelischen Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft ab, inwieweit das Land seinen derzeit überwältigenden Sieg klug nutzt. Auch die verschleppten Geiseln sind immer noch nicht frei. Schon manche Macht und mancher Politiker haben einen solchen Erfolg leichtfertig verspielt. Netanjahu, mag er politisch gewieft sein wie kaum ein anderer, könnte dazugehören.“
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